Sie wissen nicht, dass sie gezeichnet werden: Realismus in der Kunst

Selbstvergessene Zustände und ausgeübte Tätigkeiten von Menschen sind eine normale oder sozusagen natürliche Grundlage für eine elementare Praxis realistischen Zeichnens. Die solcherart beobachteten Personen halten lange genug still, um akkurat abgezeichnet werden zu können, und zeigen im übrigen auch nicht die Gezwungenheit, die für das Bewusstsein, porträtiert zu werden, typisch ist.

Daniel Nikolaus Chodowiecki, Berliner Maler und Zeichner (1726-1801) berichtet in seiner Autobiographie, daß er zu Beginn seiner Laufbahn, ohne um Erlaubnis zu fragen, nach dem gewöhnlichen Leben zu zeichnen pflegte, »alles so verstohlen wie möglich«. Er fuhr fort: »Denn wenn ein Frauenzimmer (und zuweilen auch Mannspersonen) weiß, daß man’s zeichnen will, so will es sich angenehm stellen und verdirbt alles, die Stellung wird gezwungen. Ich ließ es mich nicht verdrießen, wenn man auch, als ich halb fertig war, davonlief, es war doch so viel gewonnen! Was habe ich da zuweilen für herrliche Gruppen mit Licht und Schatten, mit allen Vorzügen, die die Natur, wenn sie sich selber überlassen ist,…, in mein Taschenbuch eingetragen! … Ich habe stehend, gehend, reitend gezeichnet, ich habe Mädchen im Bette in allerliebsten, sich selbst überlassenden Stellungen durchs Schlüsselloch gezeichnet.«

(Ausschnitt aus dem Buch ‘Menzels Realismus’ von Michael Fried)

Bild: Chodowiecki, Daniel Nikolaus (1726 Danzig – Berlin 1801). Das bettelnde Soldatenweib. Radierung

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